Endurance-WM in Oschersleben, 27. August 2016
Jedes Langstreckenrennen schreibt seine eigene Geschichte. Experten wissen das, das ist sozusagen ein feststehendes Naturgesetz im Motorradrennsport. Manchmal sind diese Geschichten kleine Märchen, in denen am Schluss Prinz und Prinzessin in den Sonnenuntergang reiten, manchmal sind diese Geschichten auch kleine Langweiler, in denen Usain Bolt immer der Schnellste ist, manchmal sind sie aber auch Horrorstories, in denen Freddie Krueger und Michael Myers von Hannibal Lecter verspeist werden.
Genau so eine Geschichte erlebte das GERT56 by rs speedbikes-Team auf der Speedweek in Oschersleben.
Frühzeitig angereist drehten die Piloten Didier Grams, Rico Löwe und Sascha Hommel schon am Mittwoch die ersten Runden. Einstellfahrten (oder auf Englisch: Setup-Optimizing). Alles gut, alles schön, die BMW läuft wie ein Uhrwerk. So gegen zwei Uhr nachmittag dann der erste Hammer: Sascha Hommel rutschte völlig unschuldig mit 190 km/h auf dem Tacho auf einer Ölspur aus. Fahrer ok, Motorrad total zerstört. Mit dem Ersatzbike drehten Didier und Rico weiter ihre Runden. Um das Einsatzmotorrad aber wieder fit zu bekommen, musste Teamchef Karsten Wolf aber schon alle Register ziehen. Das alte Bike wurde zerlegt, ein neues aus Pirna rangekarrt, Fahrwerksteile aus Tschechien eingeflogen, alles zusammen mit 6 Mechanikern über Nacht in die Box gesperrt, kräftig geschüttelt und gerührt – und am Morgen hatte ein putzmunteres neues Stocksport-WM-Motorrad das Licht der Welt erblickt. Also wieder alles im Lot. Tolle Mannschaft!
Die ersten Zeittrainings am Donnerstag liefen gut, alle drei Fahrer fühlten sich wohl, zur Belohnung gabs Platz 16. Das setzte sich am Freitag fort. Affenhitze bereits, als Sascha Hommel mit der blauen Armbinde um halbelf in die zweite Qualifikation ging, danach Didier Grams mit gelb um den Oberarm und am Schluss Rico Löwe mit rot. Bei sehr homogenen Zeiten (Bestzeiten aller drei Fahrer innerhalb von einer Sekunde) sprang am Ende der 18. Startplatz raus, siebter Platz bei den Stocksportlern. Didi, Rico, Sascha, Ronny mit seinen Mechanics und allen voran Karsten und das Verpflegungsteam hatten nun schon drei turbulente Tage hinter sich und diese hochprofessionell gemeistert, er konnte kommen: Der Raceday!
Samstagmorgen, Hoch „Gerd“ deutete schon an, dass am Nachmittag mit knapp vierzig Grad im Schatten zu rechnen sei. Neun Uhr, Start zu einer dreiviertel Stunde Warm Up. Irgendwo im Himmel, da wo diese Endurance-Geschichten geschrieben werden, bog just jetzt jemand von der Prinz- und Prinzessin-Story ab. Zu Hannibal Lecter. Sascha Hommel flog über das Lenkrad der BMW, musste ins Krankenhaus .Motorrad ok, Fahrer beschädigt. Schlüsselbeinbruch, keine Chance für ihn, am Nachmittag zu fahren. Das bedeutete, dass Didier Grams und Rico Löwe die acht Stunden zu zweit bewältigen mussten. Die von Streckensprecher Thomas Deitenbach während der Teamvorstellung in „Dachdeckerteam“ umbenannte GERT56-Mannschaft stand vor einer wirklichen Herausforderung. Knapp dreihundert Runden, jede 3.667 Meter und eineinhalb Minuten lang, mit zwei Fahrern, bei brüllender Hitze, da waren die Nerven doch schon ein bisschen angespannt.
Didier ließ sich breitschlagen, den Start zu fahren, obwohl er das noch nie gemacht hatte. Zur Erinnerung: Didier Grams ist Langstrecken-Rookie, fährt hier seine erst Saison. LeMans-Start. Das heißt: Die Fahrer stehen auf der einen Seite der Startgeraden, die Motorräder auf der anderen. Beim Startpfiff rennen die Piloten zu den Maschinen, lassen sie an und los geht’s.
Am Motorrad war Didi sehr schnell, es sprang auch sofort an, nur leider ging nichts los. Der erste Gang war nicht eingelegt oder Didi hat ihn beim Sprung auf das Bike rausgekickt. Egal. Aber das passte ja zum bisherigen Verlauf der Speedweek. Nach Runde eins kam er als 24. zurück zu Start/Ziel. Aber das Rennen hatte ja noch acht Stunden. Und da kann man einige Plätze aufholen. Dass es am Ende nur ein einziger sein sollte, wusste nachmittags um zwei noch keiner.
Die ersten vier Rennstunden liefen wie am Schnürchen. Konstante Zeiten von Rico und Didier spülten die 56er auf den 14. Rang. Die Boxencrew tat Ihren Teil dazu. Reifenwechsel, Tanken, Fahrerwechsel , alles in 45 Sekunden. Trainiert, hochkonzentriert, zuverlässig.
Natürlich wurde es trotzdem nicht langweilig. Als Didier Grams in einer Vierergruppe um den 14. Platz kämpfte, sah er weiter vorn den Qualm eines brennenden Motorrades. Sofort sagte ihm sein durchs Road Racing geschulter Verstand: Vorsicht! Wahrscheinlich vor dem Brand Motorschaden! Öl! Das kann noch nicht beseitigt sein! Langsamer! Obwohl keine Ölflaggen gezeigt wurden, war tatsächlich Schmiere auf der Piste. Der Fahrer vor ihm stürzte, Didier kann dies grade noch vermeiden und weiterfahren.
Aber nicht lange. Das kleine Teufelchen schlug wieder zu. Die S 1000 RR ging mitten auf der Rennstrecke aus. Didier hatte noch vier Runden auf der Anzeigetafel, um seinen 40-Runden-Turn zu vollenden. Doch ohne Sprit schafft das auch das beste Motorrad nicht. Für den Fahrer heißt das, das Bike ohne fremde Hilfe in die Box zurückschieben. Ungefähr 190 kg, im Lederkombi, mit Helm, Handschuhen und Gummistiefel – bei 35 Grad Hitze, nach über vier Stunden Fahrt. Da ist dann wirklich mal Kondition gefragt. Und die war da, im „Dachdeckerteam“. 2 Mechaniker kamen Didier Grams zu Hilfe, trotzdem: als das Motorrad wider aus der Box fuhr, waren zwanzig Minuten und der schöne 14. Platz weg, stattdessen fast ganz hinten: 28. Das Team machte sich sofort auf die Suche nach der Ursache, fand aber auf die Schnelle nichts Konkretes. Konnte aber nur an der Tankanlage liegen. Also borgte man sich aus der Nachbarbox von Voelpker die Spritkanne, damit das nicht wieder passieren konnte.
Didier und Rico hörten nicht auf zu kämpfen, fuhren in ihren nächsten Turns auf Platz 21 vor. Doch – Shit happens – als noch eine knappe Stunde auf der Uhr stand, blieb Rico Löwe ebenfalls mit leerem Tank stehen. Jetzt war es an ihm, das Bike wieder in die Box zu schieben. Dachdecker-Power zum Zweiten. Durch einen Bedienungsfehler mit dem geborgten ungewohnten Gerät wurde der Tank der BMW nicht ganz befüllt. Teufel nochmal! So etwas ist dem Team noch nicht passiert.
Didier Grams fuhr die Schlussrunden und wurde nachts um Zehn schließlich auf Platz 23 abgewunken. Aber – wie sagt Berufsoptimist und Teamchef Karsten Wolf so gern: „Kopf hoch, es könnte schlimmer kommen.“ Stimmt Karsten, siehe YART. Die in der EWC mitfavorisierten Yamaha-Profis schieden nach 7 Stunden, 20 Minuten komplett aus, Ihr jedoch seid 2016 bei allen Rennen, die Ihr angetreten habt, ins Ziel gekommen! So viele Achttausender, wie ihr auf der Speedweek besteigen musstet, hätte man in der Börde zwar nicht erwartet, Ihr habt es aber doch gemeistert! Great Show!
Gratulation und viel Erfolg beim Bol d´Or in Le Castellet in knapp drei Wochen!